Man fährt einige kurvige Straßen hinunter, bis man zu einer kleinen Brücke mitten im Wald gelangt. Überall stehen hohe Bäume, in der Mitte führt ein langer Weg entlang. Als ich mein Auto geparkt habe und diese Straße entlang lief, schien die Sonne und es war warm. Die Bäume raschelten im Wind und es herrschte ansonsten eine idyllische Atmosphäre. Am Ende des Weges befand sich ein Gebäude. Von außen weiß gestrichen mit knallgrünen Akzenten. Es war lang mit großen Fenstern. Überall wuchsen Büsche und Blümchen. Der Boden war ebenfalls grün, genauso wie die Wände im Inneren des Gebäudes. Im Eingang hing ein riesiges „Herzlich Willkommen“ an der Wand sowie Fotos von Personen in Bilderrahmen. An den Wänden hingen bunte Bilder, überall standen Blumen und Dekoartikel. Mein Blick wanderte direkt durch den hellen, meterlangen Flur nach hinten. Entlang der Wände hing dann aber auch noch etwas Besonderes: „Das sind Baumscheiben von allen Kindern, die hier zu Gast waren. Sie durften sie nach ihren eigenen Wünschen gestalten, egal wie lange sie da waren.“ erklärte mir Melissa.
Melissa? Wer das ist? Die Mutter von Julius. Wo wir hier sind? Im Kinder- und Jugendhospiz, wo der kleine Tiger am 11. Mai 2019 verstarb.
Ich lernte Melissa und Julius im Rahmen von einzig-art-ICH im letzten Jahr bei unserem Fotoshooting kennen. Julius war über 4 Jahre lang krebskrank, kämpfte wider erwartend der Diagnosen der Ärzte viel länger, als prophezeit. Letztendlich erlag er aber seiner Krankheit und trat seine letzte Reise im Hospiz an. 9 Wochen lebte er hier mit seiner Mutter und war somit auch der längste Gast am Stück, den Burgholz seit der Eröffnung 2015 hatte. „Es ist ganz unterschiedlich wie lange die Kinder bleiben. Manche bleiben 1 Woche, manche eben auch länger. Man kann das nicht wirklich planen“ erzählten mir Frau Braun und Frau Wülfing, mit denen Melissa und ich an diesem Nachmittag einen Rundgang durch das Hospiz machten.
Warum ich dort war? Melissa schreibt seit der erneuten Wiederkehr des Tumors ihres Sohnes einen Blog, den ich fleißig verfolge. Sie schrieb über die Diagnose, die Therapien, ihren Beschluss Julius nicht weiter mit Medikamenten und Spritzen zu quälen und darüber, dass sie noch wunderschöne, letzte Monate hatten – zwei davon eben auch im Hospiz. Wenn man an dieses Wort denkt, denkt man automatisch an den Tod, oder? Ja, so ging es mir tatsächlich auch! Aber so, wie Melissa über ihre gemeinsame Zeit in Burgholz berichtete, so erschien mir direkt ein ganz anderes Bild im Kopf und ich wollte das Hospiz deswegen mit eigenen Augen sehen.
Melissa und ich trafen uns dann also mit Frau Braun und Frau Wülfing. Wir saßen draußen auf der Terrasse unter aufgespannten, roten Sonnenschirmen mit heißem Kaffee und kühlem Wasser. Der Tag hätte nicht schöner sein können. Als wir uns so ein wenig unterhielten, vernahm ich schon von weitem Kinderlachen und sah Familien, die mit ihren Kleinen spielten. Auf einmal kam ein Clown vorbei. Er wollte uns ein paar seiner neuen Tricks zeigen. Ein Mädchen (die Schwester eines der erkrankten Kinder) war ebenfalls dort und genauso erstaunt über die Tricks des Zauberclowns, wie wir! Um uns herum standen über all die hohen Tannen des Waldes und raschelten. Weiter hinten im Garten sah ich ein Trampolin sowie einen kleinen Spielplatz. Man könnte meinen, man wäre hier zur Kur.
Ich habe mir vorgenommen den Besuch im Hospiz nicht nur auf Fotos festzuhalten, sondern ebenso auch einen kleinen Beitragsfilm darüber zu drehen (Anm.: meine Kamera ist zwischendurch leider ausgegangen und somit musste das Handy für die letzten Videos her halten. Ich hoffe ihr seht es mir nach. Es war das erste Mal für mich so ein Video zu drehen). Für eine schöne Szene gingen wir dann als erstes zu einem kleinen Springbrunnen um den rundherum Sternen lagen. Hier können Eltern Sterne ihrer Kinder niederlegen, die verstorben sind – „Julius seinen bastel ich auch gerade. Er wird rot, aus Epoxidharz mit Lego.“ sagte Melissa. „Die Bank hier hat uns übrigens ein Elternpaar geschenkt. Sie fanden die Ecke so schön, aber man konnte sich damals noch nirgendwo hin setzen.“ sagte Frau Braun. Eingraviert steht dort der Satz `Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.‘ Er passt perfekt.
Für ein kleines Gespräch zwischen Frau Braun und Melissa gingen wir an die Feuerstelle. Frau Wülfing nannte mir ein paar Rahmendetails über das Hospiz. Aktuell sind 9 Kinder hier, am Tag nach unserem Besuch sollte das 10. Kommen. Kinder können hier im Alter von 0 – 27 Jahren zu Gast sein. Sogar Sternenkinder (totgeborene) werden aufgenommen. Es werden regelmäßig Ausflüge gemacht, je nachdem welche Kinder aktuell dort sind und wie ihre Verfassung ist. Manche Kinder bleiben nur für wenige Tage, weil ihre Eltern z.B. in den Urlaub fahren wollten. Manche wollen aber z.B. auch den Abstand vom Alltag, so wie es auch bei bei Melissa und Julius der Fall war: „Hier kann man 100 % für sein Kind da sein. Man hat keine Verpflichtungen wie Wäsche machen, Kochen oder Rechnungen zahlen. Es zählt nur das Wohl des Kindes und die gemeinsame Zeit.“ sagte sie.
Es heißt also nicht unbedingt, dass die Kinder in das Hospiz kommen, um zu sterben. Ja, alle von ihnen haben Lebens verkürzende Krankheiten. Manche müssen früher gehen, manche bleiben noch ein wenig. Alle von ihnen sind krank, aber nicht immer in Burgholz, um auch dort ihre letzte Reise anzutreten. Wie bereits erwähnt kann Burgholz für die Familien auch einfach eine kleine Auszeit sein. Die Kinder können miteinander spielen und lachen, die Eltern können sich ebenfalls mit anderen austauschen, denen es ähnlich geht. Man merkt, dass hier nicht der Tod im Raum steht, sondern die gemeinsame Zeit und die schönen Momente Priorität haben.
Nichtsdestotrotz gibt es aber auch die Kindern, die im Hospiz versterben. So wie Julius am 11. Mai 2019. „Die Kinder versterben in ihren Zimmern, meist im Beisein der Eltern. Anschließend werden sie in den Abschiedsraum gebracht. Dort können alle die möchten, dem Kind die letzten Worte mit auf den Weg geben können.“ erklärte mir Frau Braun. Die Familien haben hier die Möglichkeit ihre Kinder zwischen 1 – 7 Tage lang in einem wunderschönen Holzbett niederzulegen und sich noch einmal in Ruhe zu verabschieden. Wenn man in das Zimmer hineinkommt ist es noch heller, als sowieso schon im kompletten Hospiz. Es hängen Bilder mit Fußabdrücken an den Wänden, darunter eine helle Couch mit Sternenkissen. Hier haben die Familien die Möglichkeit sich aufzuhalten oder auch zu schlafen. Auf der linken Seite geht es dann in den eigentlichen Abschiedsbereich, welcher durch eine Glastür geschlossen werden kann. Daneben hängt ein Mobile mit vielen blauen Sternen, auf denen jeweils die Namen und Geburt- sowie Sterbedaten der Kinder geschrieben stehen. Das Holzbett steht am Ende des Raumes, links und rechts daneben zwei Stühle. Das Licht fällt in das Zimmer hinein, eine Lampe mit Lichterketten steht neben dem Bettchen. Oben an der Decke befindet sich eine bunte ‚Sternengalaxie‘-Lampe. Der Abschiedsraum wird bei jedem Kind individuell gestaltet. Bei Julius waren im ganzen Zimmer seine Spielzeuge verteilt: Lego, Autos, Kuscheltiere… „Es ist auch jeder Familie selbst überlassen, ob sie ihr Kind noch einmal sehen möchten oder nicht. Trauern ist individuell und unterschiedlich, sodass jeder damit anders umgeht.“ sagte Frau Braun „Aber wir haben es in den ganzen Jahren noch kein einziges Mal erlebt, dass ihre Eltern sich nicht noch einmal persönlich in diesem Zimmer von ihren Kindern verabschieden wollten.“ fügte Frau Wülfing hinzu.
Melissa erzählte mir, dass sie draußen vor dem Fenster Löwenzahn hat wachsen sehen. Irgendwann wurde daraus dann eine Pusteblume. Julius liebte Pusteblumen. „Wie ist es für dich wieder hier zu sein, Melissa?“ – „Ich habe gar kein Problem damit. Der Raum sieht nicht mehr so aus, wie an den 3 Tagen, an denen wir mit Julius hier waren. Ich möchte mir sein Zimmer jetzt auch gerne anschauen.“ Das Zimmer von Julius konnte man sogar durch den Abschiedsraum sehen, denn es befindet sich direkt gegenüber der Glasscheibe. Es war leer bzw. standen dort nur das Mobiliar wie das Bett, der Schrank und die Kommoden. „Auch hier fühlt es sich nicht komisch an wiederzukommen. Für mich ist das nicht mehr sein Zimmer, denn wir hatten damals überall sein Spielzeug verteilt. Es sieht nicht mehr so aus… Oh doch, die Schramme auf dem Boden kenne ich noch! Damals klebte der aber mehr, weil wir überall Babybell verteilt hatten“ lachte Melissa. „Nach 9 Wochen Burgholz war das hier unser zu Hause und es war viel komischer, wieder in meine alte Wohnung zurück zu kommen und Burgholz zu verlassen, denn hier hatte ich Freundschaften geschlossen und wir haben uns soooo wohl gefühlt. Der Abschied war schlimm und ich habe die komplette Rückfahrt geweint.“
Melissa erzählte mir, wie dankbar sie den Mitarbeiter/innen ist. Der Aufenthalt hier war für sie Auszeit und Erholung. Die Eltern werden vom Pflegeteam (Insgesamt arbeiten im Hospiz 70 feste Mitarbeiter) bestens versorgt. Man hat die Möglichkeit in die Saune zu gehen oder sich auf ein Glas Wein -“oder manchmal auch eine ganze Flasche.” lachte Melissa – auf die Terrasse oder in den Aufenthaltsraum zu setzen. Mir wurde der Lieblingsplatz von Julius beim Essen gezeigt: „weil wir dort eine Steckdosen hatten und sein Tablet immer direkt aufladen konnten.“ Die Familien, Mitarbeiter und Kinder essen alle gemeinsam an der langen Tafel. Es fühlte sich für mich ein bisschen an, wie auf einer Klassenfahrt. „Hier hat das ganze Leben Platz: hier wird gelacht, gestritten, geweint, getobt und es werden Freundschaften geschlossen.“ sagte Frau Braun.
Die Wünsche der Kinder sind so alltäglich. Der Tiger aß z.B. am liebsten Pizza-Piccolinis und die musste ganz, ganz heiß sein! Fanta durfte auch nie fehlen. Er wollte auch unbedingt noch einmal einkaufen gehen oder mit bunten Stiften malen. „So etwas wie Hubschrauber fliegen oder sonstiges ist zwar toll, aber im Grunde wollen die Kinder nur eins: bei ihren Familien sein und die Zeit genießen.“ erzählte Frau Wülfing. „Die Kinder wissen, dass etwas nicht stimmt. Viele wissen, dass sie gehen müssen. Sie sind aber so stark und kämpfen bis zum Schluss und warum? Weil sie ihre Eltern nicht traurig sehen wollen. Sie kämpfen für ihre Eltern und erst, wenn sie wissen, dass es okay ist nicht immer zu gewinnen, können sie loslassen.“
Ich für meinen Teil bin wirklich froh, dass ich mir das Hospiz persönlich angeschaut habe. Ich habe es mir genauso vorgestellt: es ist kein Ort zum Trauern, sondern ein Ort um Erinnerungen zu schaffen und Momente festzuhalten. Ich hoffe nach diesem Beitrag wird euch etwas die negative Meinung über ein Hospiz genommen, falls ihr sie hattet. „Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.“
Wichtig zu erwähnen wäre an dieser Stelle noch, dass Melissa noch ganz am Anfang ihres Trauerprozesses steht und dieser sich mit der Zeit noch verändern wird. Der Tag des Interviews war eine Momentaufnahme, denn Trauer ist ein Prozess und daher stetig im Wandel.
Und wie kann man das Hospiz jetzt unterstützen? Am besten sind Geldspenden! Die Pflege und Unterbringung der kranken Kinder werden zu 95% von den Krankenkassen bezahlt, aber alles drum herum wird von Spenden finanziert. „Wir brauchen jährlich 1 Mio. Euro, um die Eltern und Geschwisterkinder hier aufnehmen zu können. Wir sind auf Spenden angewiesen, denn wir wollen nicht, dass den Familien auch noch finanzielle Sorgen das Leben schwer machen.“ Ehrenamtlich kann man sich in Burgholz allerdings auch super einbringen. Schaut einfach mal auf der Internetseite des Hospiz vorbei, um dort das wichtigste nachzulesen.
Quelle: https://www.kinderhospiz-burgholz.de/
Quelle: https://www.kinderhospiz-burgholz.de/
Quelle: https://www.kinderhospiz-burgholz.de/
Quelle: https://www.kinderhospiz-burgholz.de/
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